Die Welt war ein wirrer Tanz. Bunte Lichter zogen Streifen vor seinen Augen, als er kopfüber und kopfunter hin und her geschleudert wurde, grelle Strobo-Lichter, die von allen Seiten zu kommen schienen und den Wirbel in zuckende Sekundenbruchteile zerstückelten. Dazu das Hämmern irgendeines Techno-Stücks, jeder Beat kam wegen des Tempos aus einer anderen Richtung. Gesichter von Menschen, die am Rand des Wirbels standen, rasten auf ihn zu und wurden wieder weggesaugt, ihre Gesichter waren wie Masken in dem ständig wechselnden Licht. Sein Hirn hatte es aufgegeben, die Bilder zu interpretieren. Alles war Rausch, unter ihm ein bodenloser Abgrund. Eine falsche Drehung, und er würde fallen.

Ana-Maria neben ihm kreischte und schrie vor Wonne und krallte sich in seinem Oberschenkel fest. Ihm selbst war hauptsächlich schlecht, und sein Nacken tat von dem Geschleuder weh. Er sandte ein Gebet zu dem starren Mann hinter der Kasse, der die Macht über Knöpfe und Hebel hatte: Ein fahles Leuchten umgab ihn, ein Regenbogen, der wie ein Smaragd aussah, und rings um seinen Thron waren Lebewesen, außen und innen voller Augen, sie ruhen nicht, bei Tag und Nacht, loben seinen Namen und rufen:
1 Bitte nicht länger! Hab Mitleid, Herr! Erlöse uns!

Nachher zitterten seine Knie, doch er sagte nur „War geil!“, als Ana-Maria ihn fragte. Sie hatte sich untergehakt, und die beiden schoben sich durch eine Traube dumpf schreiender Menschen, die im Gravitationsfeld des Bierwagens gefangen waren. Dort würden sie noch stundenlang kreisen, dabei ein Pils nach dem anderen in sich hineinkippen. Über den Köpfen dieser betrunkenen Trabanten schaufelte das Riesenrad wohlig stöhnende Menschengrüppchen in den Himmel. An den Speichen rasten Lichter auf und ab.

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ERSTER TEIL // Freitag, erster Tag der Kirmes // 1 // Der Wahrsager
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